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Auch Drogengebraucher haben Menschenrechte!
Der Gedenktag ist in jedem Jahr auch eine Gelegenheit zum Protest gegen eine verfehlte Drogenpolitik, die die Bedingungen des Konsums so gestaltet, dass es zu vermeidbaren Todesfällen im Zusammenhang mit dem Konsum illegalisierter Drogen kommt.
In Deutschland sind im vergangenen Jahr 1.333 Menschen im Zusammenhang mit dem Konsum illegalisierter Drogen gestorben, damit ist die Zahl der Toten erneut angewachsen. Dringend notwendige Maßnahmen, die in die Wege geleitet werden müssten, um den Trend umzukehren, sind die Einrichtung von Druckräumen in allen Bundesländern, die Vergabe von Naloxon, einem Medikament, das in Situationen der Überdosierung helfen kann, Abgabe von Präventionsmitteln im Strafvollzug, erleichterer Zugang zu Substitution und ärztlicher Originalstoffvergabe.
Bei der Veranstaltung im Frankfurter Bahnhofsviertel hat Florian Beger, Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Hessen, eine Rede gehalten, die wir an dieser Stelle dokumentieren. Die Veranstaltung wurde durch das Drogenhilfezentrum La Strada der AIDS-Hilfe Frankfurt durchgeführt.
Rede von Florian Beger bei der Kundgebung zum Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher am 21.7.2017 in Frankfurt:
Liebe Freundinnen und Freunde,
meine Damen und Herren,
ich begrüße Sie sehr herzlich zur Zwischenkundgebung am internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebraucherinnen und Drogengebraucher.
In über 100 Städten wird heute in Deutschland und darüber hinaus Menschen gedacht, die im Zusammenhang mit dem Konsum illegalisierter Substanzen gestorben sind.
Leider ist die Zahl der in Deutschland im Zusammenhang mit dem Konsum Verstorbenen im vergangenen Jahr wieder gestiegen. Es waren 1.333 Menschen, die 2016 gestorben sind.
Leider waren unter ihnen sehr viele, deren Tod vermeidbar gewesen wäre, wenn es andere Bedingungen des Konsums gäbe.
Denjenigen, die wir in Frankfurt verloren haben, gedenken wir später mit einem Trauermarsch, der zur Taunusanlage führt, dort werden wir weitere Ansprachen und eine Andacht hören und es werden auch die Namen derjenigen Frankfurter verlesen werden, die wir im vergangenen Jahr verloren haben.
Wir sind nicht nur traurig, wir begehen diesen Tag durchaus auch zornig.
Denn die Zahl derjenigen, die im Zusammenhang mit dem Konsum versterben, steigt seit mehreren Jahren wieder an. Und dieser Anstieg wäre vermeidbar.
Hierzu bedürfte es engagierten politischen Handelns, vor allen Dingen endlich eine Abkehr vom Dogma des drogenfreien Lebens.
Dieses Dogma übersetzt sich im Alltag in strafrechtliche Verfolgung der Konsumenten: 300.000 Strafanzeigen gibt es hierzulande jährlich.
Die Lebenswege von Drogengebraucherinnen und Drogengebrauchern werden durch den Verfolgungsdruck jeden Tag negativ beeinflusst. Die Zahl der zerstörten Biografien übersteigt die Zahl der Toten um ein Vielfaches.
Das Dogma des drogenfreien Lebens übersetzt sich auch in die Tatsache, dass relativ einfache Maßnahmen verhindert werden, die Tode im Zusammenhang mit dem Konsum vermeiden könnten:
In nur sechs von 16 Bundesländern gibt es Drogenkonsumräume – Einrichtungen, die auch in Frankfurt jeden Tag Leben retten.
Die Bundesdrogenbeauftragte kündigt seit Jahren eine Verbesserung des Hilfesystems an. Zugleich steht das Dogma des drogenfreien Lebens immer im Weg, wenn es um die Ausweitung und Vereinfachung der Substitution, die Abgabe von Naloxon (eines Medikaments, das bei Überdosierungen Leben retten kann) und einen leichteren Zugang zur medizinischen Originalstoffvergabe geht.
Alle diese Maßnahmen würden die Zugänglichkeit illegalisierter Drogen nicht erhöhen.
Sie sind aber zweifellos wirksam, um die Schäden, die im Zusammenhang mit dem Konsum auftreten, zu verringern.
Im Wege steht das Dogma des drogenfreien Lebens und die Stigmatisierung und Ausgrenzung von Drogengebraucherinnen und Drogengebrauchern.
Darum ist es so wichtig, dass wir heute gegen diese Stigmatisierung protestieren.
Das diesjährige Thema des Gedenktages, „Menschenrechte auch für Drogengebraucher“, verweist dabei auf eine ganz grundlegende Fragestellung, die wir gesellschaftlich beantworten müssen.
Wie steht es um das Universalitätsversprechen der Menschenrechte?
Können alle Menschen ihre Menschenrechte gleich genießen?
Gestehen wir Menschen, die Lebensentscheidungen anders treffen als wir die gleichen Rechte und die gleiche Würde zu?
Gilt das Recht auf adäquate gesundheitliche Versorgung etwa auch für Menschen in Haft?
In Deutschland ist der Zugang zu Präventionsmitteln für Drogengebraucher in Haft nicht ausreichend oder gar nicht gegeben. Ihnen wird medizinische Behandlung nicht im gleichen Maße zuteil.
Gilt das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch in polizeilichem Gewahrsam?
Deutschland wurde wegen der bis vor wenigen Jahren in einigen Bundesländern üblichen Praxis des Einsatzes von Brechmitteln vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt.
Es gibt viele, viele Beispiele für die Verletzung der Menschenrechte und Würde von Drogengebraucherinnen und Drogengebrauchern mehr.
Die AIDS-Hilfen sind seit ihrem Bestehen immer wieder damit konfrontiert, dass der gesellschaftliche Umgang mit den Betroffenen von HIV und AIDS und den hauptsächlich von HIV/AIDS betroffenen Gruppen zum Testfall für die Geltung der Menschenrechte wurde:
In der Zeit nach dem ersten Auftreten der Erkrankung gab es – auch in Frankfurt – Politiker und Behördenvertreter, die HIV-positive Menschen internieren, zwangsweise tätowieren wollten.
Noch heute dürfen die Polizeibehörden HIV-positive Menschen in ihren Datenbanken als „ansteckend“ kennzeichnen – angeblich zum Schutz der Betroffenen wie der Beamten, obwohl diese Behauptung nicht den tatsächlichen Übertragungswegen von HIV entspricht.
Die marginalisierten Gruppen, die in der AIDS-Arbeit die größte Rolle spielen, Drogengebraucher, Menschen, die der Prostitution nachgehen, Menschen mit Migrationsgeschichte, schwule Männer, Menschen in Haft: sie alle eint die Erfahrung, dass das Universalitätsversprechen der Menschenrechte eben immer noch gefährdet ist – letztlich nicht eingelöst.
Es ist darum so schön, dass am internationalen Gedenktag eine besonders marginalisierte und gesellschaftlich wie staatlich besonders ausgegrenzte Gruppe, die der Drogengebraucherinnen und Drogengebraucher, von einem der vornehmsten Menschenrechte, dem Recht auf politische Meinungsäußerung, so lautstark Gebrauch macht.
Wir beweisen damit, dass wir Gültigkeit der Menschenrechte auch für uns beanspruchen.
Wir werden dafür aufstehen und wir wollen dies im Bündnis mit anderen Gruppen tun, denen ihre Rechte und ihre Würde immer wieder abgesprochen werden.
Wir betrauern die 1.333 Toten in Deutschland, sind uns aber sehr wohl bewusst, dass die Lage in vielen Ländern der Welt noch wesentlich schlimmer ist.
Wir verweisen an diesem Gedenktag auf die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die im sogenannten Krieg gegen die Drogen in vielen Ländern der Welt mit Füßen getreten wird.
Der Drogenkrieg wird gegenwärtig besonders auf den Philippinen mit unvorstellbarer Grausamkeit geführt.
Seit Beginn der Präsidentschaft Rodrigo Dutertes im Jahr 2016 wurden Tausende bei polizeilichen und paramilitärischen Aktionen ermordet.
Der Präsident selbst vergleicht sein Programm mit dem Holocaust und fantasiert vom millionenfachen Mord aller Drogenabhängigen in seinem Land.
Die internationalen Reaktionen sind noch viel zu verhalten und beschränken sich in der Regel auf die Äußerung des Bedauerns oder Sorge.
Es ist an der Zeit, im Umgang mit den Philippinen nicht mehr wegzusehen. Es bedarf härterer Druckmittel im Umgang mit der philippinischen Regierung.
Die Bundesregierung muss sich endlich einsetzen für die Geltung der Menschenrechte auch für Drogengebraucherinnen und Drogengebraucher, gegen Zwangstherapien, gegen Verfolgung und Mord.
Menschen, die aus anderen Ländern fliehen, in denen der Kampf gegen die Drogen bürgerkriegsähnliche Zustände erreicht, sollen bei uns Aufnahme und Schutz genießen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Hier finden Sie die Rede als PDF zum Download.
Bildnachweis: Gedenkplatte in der Taunusanlage, AIDS-Hilfe Frankfurt.
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